Premierenbericht von Peter Jaschke im Mannheimer Morgen vom 17.10.2022

Ladenburger Theater spielART begeistert mit "Kunst"

Krieg und (die Hoffnung auf) Frieden: Das beschäftigt uns derzeit. Doch wie kann im Großen gelingen, was schon im Kleinen oft scheitert? Zum Beispiel in einer langjährigen Männerfreundschaft. Wie und warum Serge, großartig gespielt von Axel Bedbur aus Neckargemünd, Marc (Gerald Glombitza) und Yvan (Klaus Grelle) aus buchstäblich unsichtbarem Grund miteinander in Streit geraten, davon handelt die aktuelle Inszenierung der Ladenburger Projektgruppe "spielART" im "Kettenheimer Hof" und ab November auch in der "Kulturwerkstatt Am Sägewerk".

 

Um es vorwegzunehmen: Die ersten Aufführungen haben begeistert. Es geht um "Kunst". So lautet der Titel der 1994 uraufgeführten Komödie aus der Feder der Pariser Erfolgsautorin Yasmina Reza. Es geht darum, ob es sich bei dem Werk eines angesagten Künstlers um ein "weißes Bild mit weißen Streifen" (Marc) oder "eine Skala von Grautönen" (Serge) handelt, die Vibrationen erzeuge. Daran entzündet sich der Konflikt.

 

Wie Freundschaft zerbricht

Das Publikum sieht das Gemälde, das hervorragend agierende Schauspieler jeweils aus ihrer Sicht beschreiben, jedoch zunächst nicht selbst. Man könnte sagen: Es geht um nichts. Dass dies nur so scheint, spüren die Zuschauenden schnell, auch weil das anfangs ansteckende Lachen der Männer bald nur noch hohl klingt.

"Das Übel hat tiefere Ursachen", erkennt Marc: Da beginnt der erfolgreiche Ingenieur zu ahnen, wie sehr er Serge, einen Arzt, durch diese Äußerung verletzt hat: Dessen teuer erworbenes Kunstwerk sei eine "Scheiße". Marc erscheint hier fast wie die Wiedergeburt der Figur "Homo Faber", die der Schriftsteller Max Frisch literarisch verewigte: Rein vernunftbetont eingestellt, steht Marc für eine Haltung, die man als gesunden Menschenverstand sehen mag. So macht er sich darüber lustig, dass Kunstfreund Serge "200 Riesen" für ein Bild zu zahlen bereit war, auf dem nichts zu sehen sei. Serge reagiert beleidigt, wirft Marc "Ahnungslosigkeit" vor, spricht sogar von Hass.

 

Das Nichtverstehen eskaliert

Und Yvan? Der gemeinsame Freund der beiden Hauptstreithähne hält sich zunächst heraus. Als er jedoch Marcs Arroganz erkennt, schlägt er sich auf Serges Seite. Tragisch, dass dieser nur Spott für ihn übrig hat. Atemberaubend, wie die drei Akteure das gegenseitige Nichtverstehen, das auf sozialen Spannungen, Empathie- und Respektlosigkeit beruht, eskalieren lassen. Sie zeigen auf, wie Miteinander nur ohne Missgunst gelingen kann. "Grandios", entfährt es einer Frau beim Schlussbeifall. "Wir sind sehr zufrieden, wie es im Publikum ankommt", freut sich Regisseurin Birgit Podhorny.

 

Premierenbericht von Silke Beckmann In der Ladenburger Zeitung  vom 21.10.2022

Da brechen alle Dämme des Respekts
Bitterböse und dabei urkomisch: spielART legt mitreißende Premiere der Komödie „Kunst“ hin
Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten – oder doch? Das Ensemble spielART belehrte mit seiner neuen Produktion „Kunst“ eines Besseren, wobei im knapp zweistündigen, vorzüglich gespielten Schlagabtausch schnell deutlich wird, dass die Kunst lediglich der Aufhänger ist, an dem sich drei Freunde abarbeiten, und es vielmehr um deren Beziehung zueinander geht. Wobei kein Blatt vor den Mund genommen wird, das Publikum vom rücksichtslosen Klartext voller Anwürfe und verblüffender Wendungen in Bann gezogen wird und schließlich lang anhaltenden Applaus spendet. Enorm, was die drei Akteure Axel Bedbur, Gerald Glombitza und Klaus Grelle in diesem nicht nur Text-intensiven international erfolgreichen Stück der französischen Autorin Yasmina Reza geleistet hatten.
Rundum gelungen war die von Regisseurin Birgit Podhorny angekündigte „doppelte Premiere“, mit der spielART erstmals im Gewölbekeller des Kettenheimer Hofs auftrat. In der es zwar bitterernst, dabei aber immer wieder urkomisch zuging und es viel zu lachen gab, und das nicht nur in den Zuschauerrängen. Denn mit ungläubigem Lachen, einem regelrechten Lachflash, reagiert auch Marc (G. Glomitza) auf Serges (A. Bedbur) für eine horrende Summe erworbenes und voller Stolz präsentiertes Ölgemälde: ein weißes Bild mit weißen Streifen. Ein „selbstgefälliges, perfides Lachen“, wie Serge es im Nachhinein pikiert formuliert, „ganz hämisch, ohne eine Andeutung von Humor“. Überhaupt habe Marc „nicht die geringste Kenntnis“ auf dem Kunst-Sektor, der sich wiederum bei Yvan beschwert, dass man mit Serge nicht mehr lachen könne. Und Yvan (K. Grelle), der ewige Vermittler, der Auseinandersetzungen hasst und es beiden recht machen möchte, sitzt zwischen den sprichwörtlichen Stühlen, windet sich förmlich, um nur nicht klar Position beziehen zu müssen, und gerät dadurch immer weiter in die Bredouille. „Hör auf, immer zu nivellieren“, schimpft Serge, und Marc wütet: „Du quatschst jeden Blödsinn von Serge nach.“
Schon hier wird klar, dass es im Grunde um das Beziehungsgeflecht des Trios geht, und in der Folge hagelt es untereinander Vorwürfe, die ganz offensichtlich schon lange schwelen, werden unverblümt Charaktereigenschaften kritisiert, ebenso wie einst Gesagtes und vor allem, wie es gesagt wurde. Yvans zukünftige Ehefrau wird ohne jegliche Zurückhaltung verbal seziert, und es hagelt gegenseitige Verletzungen und giftige Beleidigungen, in denen etwa Marc, laut Serge ohnehin „jemand, der kein Mensch seiner Zeit ist“, Yvan als „kleinen servilen Speichellecker“ bezeichnet. Streitkultur auf hohem sprachlichen Niveau, bei der jeder sein Fett abbekommt, und zwar gründlich, und es keinen lachenden Dritten gibt – die Dämme des Respekts scheinen unwiderruflich gebrochen. Schwer vorstellbar, dass sich das jemals wieder kitten lässt.
Eine mitreißende Inszenierung, für die das Publikum die durchweg überzeugenden Darsteller sowie Regisseurin Birgit Podhorny feierte. Und anschließend möglicherweise mit dem festen Vorsatz nach Hause ging, das ein oder andere Fremdwort nachzuschlagen.
....
-skb./Fotos: Beckmann